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Jeder weiß: wenn uns etwas passiert, gibt es Rettungskräfte, die uns helfen. Das gibt uns Sicherheit im Alltag und ermöglicht ein unbeschwertes Leben. Aber was ist, wenn das System des Rettungsdienstes so überlastet ist, dass die Einsatzkräfte nicht rechtzeitig vor Ort sein können? Im Ernstfall ist jeder von uns auf ein funktionierendes System im Rettungsdienst angewiesen. Deswegen sollten wir auch alle gemeinsam dafür sorgen, dass dieses System bestmöglich funktioniert. Denn im Rettungsdienst geht es um Menschenleben.

Was sind sogenannte Bagatelleinsätze und was ist das Problem an ihnen?

Wer sich einmal mit dem Thema Rettungsdienst auseinandergesetzt hat, der kommt um den Begriff der sogenannten Bagatelleinsätze nicht herum. Bagatellfahrten meinen dabei Einsätze, bei denen kein akuter Notfall vorliegt und der Patient eigentlich anderweitige Hilfe als die des Rettungsdienstes gebraucht hätte. Ein beliebtes Beispiel sind dabei die Rückenschmerzen seit drei Wochen, „die einfach mal abgeklärt werden sollten“. Dies ist allerdings eher ein Fall für den Hausarzt und nicht für den Rettungsdienst, welcher für akute Notfälle zuständig ist. Marco König vom „Bündnis pro Rettungsdienst“ erklärt dazu in einem Interview mit ZDF heute: wenn eine Person aber beispielsweise starke Brustschmerzen, Schlaganfallsymptome oder anderweitige Schmerzen habe, dann solle sie natürlich die 112 anrufen.

Die Transportpflicht:

Das Problem bei vielen Bagatelleinsätzen ist allerdings, dass hier ein weiterer Faktor für die Überlastung im Rettungsdienst vorliegt. Grund dafür sei die gesetzlich vorgeschriebene Transportpflicht, erklärt König. Diese gelte für alle Patienten, die die 112 gewählt hätten und damit auch für Bagatellfahrten. Somit müssten auch diese Patienten in die Notaufnahme transportiert werden, da die passende Anlaufstelle für das eigentliche Problem fehle oder nicht erreichbar sei.

Nichteinhaltung der Hilfsfrist:

Die Überlastung, die aus diesen und aus anderen Faktoren entstehe, könne zu einer Nichteinhaltung der Hilfsfrist führen. Der Rettungssanitäter Luis Teichmann erklärt die Hilfsfrist in seinem Buch „Einsatz am Limit“ so:

„[Die Hilfsfrist] beschreibt die maximale Zeit, die verstreichen darf, bis das erste qualifizierte Rettungsmittel am Notfallort eintrifft. […] [Ab] wann die Hilfsfrist tickt und wie viel Zeit verstreichen darf, hängt tatsächlich davon ab, in welchem Bundesland Sie sich befinden“.

In Schleswig-Holstein liegt die Hilfsfrist bei 12 Minuten und zählt ab der Alarmierung der Einsatzkräfte durch die Leitstelle bis zum Eintreffen des ersten Rettungsmittels am Einsatzort.

Die Berichte der Tagesschau über die Auswertung des Rettungsdienstberichtes 2022 machen deutlich, dass die Hilfsfrist immer weniger eingehalten werden könne. Wie in dem unten aufgeführten Säulendiagramm zu sehen ist, wären im Jahr 2012 in Bayern noch in 92 % der Einsätze die Rettungskräfte pünktlich am Unfallort gewesen. Im Jahr 2021 seien es allerdings nur noch 87 %. In den ländlichen Regionen sei die Entwicklung durch die längeren Anfahrtswege noch stärker und läge bei 76 %.

Quelle: Rettungsdienstbericht Bayern 2022

In diese Entwicklung spiele auch mit rein, dass die Dauer und die Zahl der Einsätze bundesweit deutlich gestiegen seien. Eine andere Statistik zeigt, dass die Einsatzfahrten von 1994/45 bis 2016/17 um 72 % gestiegen seien. Das begründe sich zum einen durch das höhere Alter der Menschen und deren Vorerkrankungen, erklärt Luis Teichmann. Die Bevölkerung sei gleichzeitig aber nur um 1,5 % gestiegen und die jährliche Bettenauslastung sei von 1998 mit 82,3 % bis 2019 auf 77,2 % gesunken. Das deutet auch darauf hin, dass die Bagatelleinsätze ebenfalls einen Teil der gestiegen Einsatzzahlen ausmachen.

Unterforderung und Frustration:

Frustrierend sei für Rettungskräfte zudem, dass es bei Bagatelleinsätzen oft zu Unterforderung der Fachkräfte käme. Das begründe sich darin, dass die Kompetenzen von Notfall- und Rettungssanitätern nicht ausgeschöpft werden würden, berichten Marco König und Luis Teichmann.

Was sind die Gründe für die Bagatellfahrten im Rettungsdienst?

Einer der Hauptgründe ist die fehlende Aufklärung. Laut Luis Teichmann habe zwar jeder eine Vorstellung davon, was der Rettungsdienst tue, aber nur die wenigsten wüssten, was er wirklich könne und wofür er nicht da wäre. Vielen Menschen fehlt das Wissen über das System des Rettungsdienstes und des Gesundheitswesens. Dadurch ist vielen Patienten nicht klar, an wen sie sich in einem Krankheitsfall wenden sollen, wie immer wieder in der Praxis zu sehen ist.

Ein weiter Grund sei die fehlende Anlaufstelle für das eigentliche Problem. Wenn der Hausarzt oder der ärztliche Bereitschaftsdienst nicht erreichbar sei, dann bleibe für viele Patienten nur noch die 112, erklärt König. Zudem rufen einige Patienten oder Angehörige aus Verzweiflung den Rettungsdienst, da sie überfordert sind und sich nicht anders zu helfen wissen.

Welche Lösungen gibt es und was kann jeder einzelne für den Rettungsdienst tun?

Ein Hauptbestandteil der Lösungsmöglichkeiten ist die Aufklärung. Der Rettungssanitäter Luis Teichmann fordert dafür, das Gesundheitswesen als ein Schulfach einzuführen. Dabei solle über die verschiedenen Berufsbilder und deren Tätigkeitsfeldern aufgeklärt werden. Gleichzeitig könne eine Basisausbildung in erster Hilfe für häufige Erkrankungen und Verletzungen im Alltag vermittelt werden. Die Kampagne „Rettet den Rettungsdienst“ fordert zudem die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung wieder zu stärken, da die Bevölkerung in medizinischen Fragen oft überfordert sei.

Das „Bündnis pro Rettungsdienst“, die Kampagne „Rettet den Rettungsdienst“ und Luis Teichmann  haben noch einige weitere Forderungen vor allem an die Politik gestellt. Damit solle langfristig ein gesünderes System geschaffen werden und für die Fachkräfte sollen bessere Arbeitsbedingungen erzielt werden. Die Forderungen können auf den Internetseiten der Kampagnen und in dem Buch oder Podcast von Luis Teichmann nachgelesen und gehört werden. In diesem Artikel wird jedoch im Folgenden auf die individuellen Möglichkeiten eingegangen, was jeder einzelne tun kann.

Auch ohne spezifische politische Aufklärungsprojekte kann jeder etwas tun. Jeder kann seinen Teil zu einem gesünderem System beitragen, indem er sich informiert und mit Freunden und Familie fundiert drüber spricht. Zudem ist es sehr wichtig und wertvoll Betroffenen und Fachkräften aus dem Gesundheitswesen zuzuhören und die aufgezeigten Probleme ernst zu nehmen. Durch die Weitergabe des Wissens kann ein besseres Verständnis für die Tätigkeiten des Rettungsdienstes entstehen. Denn der Rettungsdienst betrifft uns alle und wir alle sind im Ernstfall von ihm abhängig.

Was kann Mut machen?

Bei all den Schlagzeilen über die Belastung im Rettungsdienst, ist es aber auch wichtig den Mut nicht zu verlieren. Das gilt vor allem für Fachkräfte und die, die es noch werden wollen. Trotz all den Hürden, die der Beruf mit sich bringt, ist es ein sehr vielfältiger Beruf, der Zukunft hat und krisensicher ist. Durch die vielfältigen zwischenmenschlichen Erfahrungen und Situationen wird ein neues Verständnis für viele Situationen und neue Perspektiven auf das Leben gelehrt.  „Lernen fürs Leben – für das eigene und das der anderen“ ist der Slogan und Leitsatz der Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH) und beschriebt diesen Beruf damit sehr treffend. Der Rettungssanitäter Luis Teichmann ist sich sicher: „Ich habe in meinem Leben etwas gemacht, was zählt!“ und schöpft in diesem Gedanken immer wieder neue Motivation.

Und auch für die, für die der Beruf aus den unterschiedlichsten Gründen nicht das Richtige ist, gilt: Werdet trotzdem aktiv, informiert euch, sprecht mit anderen darüber und hört zu! Denn im Rettungsdienst geht es um Menschenleben und das betrifft uns alle!

 

Yvonne